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Zur Narkose bei Nagetieren/Chinchillas [message #31441] Fr, 18 Mai 2007 21:44 Zum nächsten Beitrag gehen
christine ist gerade offline  christine

Beiträge: 648
Registriert: Februar 2006
Ort: Leipzig
Hallo zusammen!

Da die Frage nach den möglichen Narkoseformen im Allgemeinen und im Besonderen bezogen auf Chinchillas ja stets erneut laut wird, hab ich im Folgenden eine Zusammenfassung und Gegenüberstellung der Möglichkeiten verfasst.
Auf zu tief gehende Details habe ich bewusst verzichtet, aber so einige "Grundlagen" wollte ich dann doch ungern weglassen (zumal es ja ein paar spezieller Interessierte unter uns gibt). Wink
Trotz allem ist das einfach ein umfangreiches und komplexes Thema, wenn man ihm halbwegs gerecht werden möchte ...
Ich hoffe, es ist für jeden etwas dabei.

Zur Narkose bei Nagetieren/Chinchillas

Was ist eine Narkose?


Zuerst eine kleine Begriffsklärung:
Narkose = griech.: Erstarren (Narkosemittel = Narkotikum)
Anästhesie = griech.: Empfindungslosigkeit (Mittel = Anästhetikum)
Analgesie = griech.: Schmerzlosigkeit (Schmerzmittel = Analgetikum)
Antagonist = griech.: Gegenspieler
Anxiolyse = lat.: Angstlösung (Mittel = Anxiolytikum)
Sedierung = lat.: Beruhigung (Mittel = Sedativum)


Für bestimmte Eingriffe oder Untersuchungen ist es erforderlich ein Tier in Narkose zu legen, es also in einen „vorübergehenden (reversiblen) Zustand der Empfindungs- und Schmerzlosigkeit“ zu versetzen.
Unter Beachtung einiger Besonderheiten ist auch für Tiere wie Chinchillas eine möglichst schonende und zuverlässige Narkoseführung möglich, sowohl als Gasnarkose als auch mit Injektionsnarkose.
Im Gegensatz zur sogenannten Regionalanästhesie (örtliche Betäubung) bedient man sich hier der sogenannten Allgemeinanästhesie (nicht auf eine bestimmte Körperregion beschränkt).

Die Ziele einer guten Allgemeinanästhesie sind folgende:
1.) Bewusstlosigkeit bzw Bewusstseinsdämpfung des Patienten (Sedierung, Anxiolyse)
2.) Ausreichende Dämpfung des Schmerzempfindens (Analgesie)
3.) Muskelerschlaffung (Relaxation)
4.) „vegetative Stabilisierung“ (Herz-Kreislauf-Funktionen)

All das ist notwendig um z.B. einen chirurgischen Eingriff optimal und so schonend wie möglich durchzuführen.
Da kein Narkosemittel alleine all diese Anforderungen zusammen erfüllen kann (jedes hat so seine Stärken), bedient man sich einer Kombination aus mehreren Substanzen um jedem dieser Ziele gerecht zu werden.
Das hat zudem den Vorteil, dass man in der Kombination pro Substanz weniger benötigt, was wieder die Nebenwirkungen solcher Medikamente zu reduzieren hilft.
Man nennt das dann „balanced anaesthesia“ oder Kombinationsnarkose (kann auch die Kombi aus Narkosegas und Injektionsnarkotika meinen).
Letztlich soll so eine Narkose auch gut steuerbar sein, d.h., dass man den Verlauf der Narkose sowie den Zeitpunkt des Aufwachens stets gut kontrollieren kann.
Da bei diesen Tieren die Augen auch unter Narkose geöffnet bleiben ist eine Augensalbe zum Schutz der Augenoberfläche notwendig.

Eine Narkose wird in dynamische Stadien eingeteilt, die Übergänge geschehen allerdings derart schnell, dass in der Praxis keine wirkliche Unterscheidung möglich ist.
Angestrebt wird das sogenannte „chirurgische Toleranzstadium“, in dem der Patient ruhig, entspannt und mit (nicht lebensgefährlich) herabgesetzter Kreislauffunktion für z.B. einen chirurgischen Eingriff bereit ist.


Beurteilung der Narkosetiefe bei Tieren:
Hierfür bedient man sich bestimmter auslösbarer Reflexgeschehen (Berührungs- oder Schmerzreize) sowie der Beobachtung der Vitalparamater (Herzfrequenz und Atmung) des Tieres.
Wie tief eine Narkose letztlich sein muss hängt von der Art des Eingriffs ab (lediglich Ruhigstellung für eine Untersuchung notwendig oder schmerzhafter Eingriff).
Allerdings wird speziell bei Chinchillas darauf hingewiesen, dass hier die Beurteilung dadurch erschwert wird, dass sie ein untypisches Reflexverhalten aufweisen.
Ein Reflex ist positiv, wenn eine bestimmte Reaktion deutlich und prompt erfolgt.
Erfolgt keine, nur eine abgeschwächte oder verzögerte Reaktion auf einen Reiz hin, so ist der Reflex negativ bzw abgeschwächt, die Narkosetiefe nimmt also zu.
Bei bestimmten stark verzögerten bis ausgefallenen Reflexen darf man davon ausgehen, dass sich das Tier im chirurgischen Toleranzstadium befindet und der Eingriff problemlos durchgeführt werden kann.
Vor völligem Verlust aller Reflexe wird auch hier gewarnt (Gefahr von Atemstillstand und Kreislaufkollaps).

Reflexe wie der Lid- oder der Cornealreflex (Augenzucken bei Berührung; Cornea = Hornhaut) werden bezüglich kleiner Nager als nicht aussagekräftig beschrieben.

Die folgenden Reflexe werden provoziert durch unterschiedlich starke (Schmerz-)Reize und lassen deshalb eine bedingte Beurteilung der Narkosetiefe ( = wie sehr die Narkosemittel das ZNS dämpfen) zu:
Stellreflex: selbstständiges Drehen vom Rücken auf den Bauch; Seitlage = Verlust des Stellreflexes
Zwischenzehenreflex: Wegzucken des Beines, wenn man das Tier zwischen den Zehen zwickt
Schwanzreflex: Abwehrreaktion bei Kneifen ins hintere Drittel des Schwanzes
Ohrreflex: Zucken bei Kneifen ins Ohr
Hautkneifen: Abwehrreaktion bei Kneifen in die Haut des Abdomens (Bauch)
Tiefenschmerz: Wegzucken des Beines bei Kompression der vorderen Zehenknochen
Weiterhin können der Schluckreflex sowie die Reaktion auf das Stechen in die Haut mit einer Kanüle beurteilt werden.


Zum Thema Kreislauf und Auskühlung (Hypothermie) im Rahmen einer Narkose:
Jede Allgemeinanästhesie (egal ob Gas oder Injektion) hat mehr oder weniger negative Auswirkungen auf die Herzkreislauffunktionen und den Stoffwechsel (Metabolismus) des Tieres.
Hinzu kommt noch die individuelle Verfassung eines jeden Tieres, weshalb eine gründliche Basisuntersuchung für die Beurteilung wichtig ist.
Eine z.B. unentdeckte Infektion der Atemwege kann das Risiko eines intraoperativen Atemstillstandes beträchtlich erhöhen!
Bei Nagetieren kommt noch erschwerend das ungünstige Verhältnis von Körpergewicht zu Körperoberfläche hinzu, weshalb sie z.B. unter einer Narkose zur schnellen Auskühlung (Hypothermie) neigen -> Gefahr des Kreislaufkollaps.
Das Ziel einer jeden Narkose ist es die Auswirkungen der Narkosemittel möglichst zu minimieren und dadurch die Narkose so schonend wie möglich zu gestalten.

Vorbeugende Massnahmen:
- Setzen eines Flüssigkeitsdepots bevorzugt unter die Haut (subcutan, s.c.) oder ins sogenannte „Bauchfell“ (intraperitoneal, i.p.), wegen der meist winzigen Venen
- Verwenden einer Wärmematte und eines Wärmestrahlers (Matte allein oft nicht ausreichend) um das Tier dosiert warmzuhalten (Überwärmung ist ebenfalls negativ)
- Auch eine vorsorglich aufsättigende Sauerstoffzufuhr (Präoxygenierung) z.B. in einer Ganzkörperkammer (stressfreier) ist vorteilhaft
Die Überwachung der Vitalparameter (Herzfrequenz, Atmung, Sauerstoffsättigung, Körpertemperatur) während und nach der Narkose gehört natürlich ebenfalls dazu.

Risikofaktor Stress
Anhand von Versuchen an Labormäusen ist bestätigt worden, dass sowohl ein möglichst stressfreier Transport des Tieres als auch eine möglichst kurze, stressfreie Narkoseeinleitungsphase ihren Anteil an einer erfolgreichen Narkose haben.
Übermässig gestresste Tiere erlitten häufiger tödliche (letale) Zwischenfälle unter Narkose.

Keine Nahrungskarenz bei Nagern!
Nagetiere müssen NICHT NÜCHTERN zu einer Operation erscheinen!
Da diese Tiere nicht erbrechen können, besteht unter Narkose nicht die Gefahr des Einatmens von Mageninhalt (Aspiration).
Zudem haben diese Tiere einen relativ hohen Stoffwechselumsatz, sodass sie unter Nahrungsentzug sehr schnell in eine ungünstige Stoffwechsellage kommen:
Unterzuckerung (Hypoglykämie) und eine daraus resultierende Stoffwechselübersäuerung (metabolische Azidose) und deren Folgen.
Eine Nahrungskarenz dieser Tiere vor einer OP ist also nicht nur nicht nötig, sie ist auch noch schädlich!!!

Substanzen, die zur Narkose verwendet werden (ich gehe nur auf für unsere Zwecke notwendige Substanzen ein):

1.)Inhalationsnarkosen:
Die jeweilige Flüssigkeit wird verdampft und so als Gasgemisch (mit normaler Luft und z.B. zusätzlich O2) über die Lunge aufgenommen, um sich dann im Blut und schliesslich im Gehirn/ZNS verteilen zu können.
Der Wirkungseintritt dauert etwas länger als bei Injektionsnarkotika - man sagt sie „fluten langsamer an“ - sie gelten dafür als besser steuerbar (werden zum Grossteil einfach wieder abgeatmet und die Wirkung endet sehr rasch).
Auch heute noch gilt die Gasnarkose als die am besten geeignete Methode der steuerbaren Anästhesie bei Tieren, sie ist nur nicht immer auch für alle Eingriffe anwendbar.
Der Vorteil dieser Narkoseform liegt ganz klar im raschen Wirkungsabklingen durch beenden der Gaszufuhr und der minimal notwendigen Verstoffwechslung im Körper.
Nachteilig sind hier die Notwendigkeit bestimmter aufwendiger Apparaturen und die kostspieligen Narkosegase.

Die folgenden Inhalationsnarkotika sind Abkömmlinge des Halothans (Leitsubstanz).
Die neueren Substanzen weisen jedoch eine bessere Wirksamkeit und geringer ausgeprägte Nebenwirkungen (Halothan ist stark lebertoxisch) auf, weshalb sie mit geringerer Einschränkung anwendbar sind.
Halothan selbst wird heute daher nur noch selten verwendet.

Enfluran – klare, nicht brennbare Flüssigkeit, süsslicher Geruch
gute Muskelrelaxation, gute hypnotische Wirkung, nur mäßige Analgesie!
gut steuerbar, flutet rasch an und wieder ab
98% werden unverändert über die Lunge abgeatmet, 2% Verstoffwechslung über die Leber
Nachteil: kann eine bereits bestehende Krampfneigung erhöhen, bei wiederholtem Gebrauch wurden teilweise Lebernekrosen beobachtet

Isofluran – farblose, nicht brennbare Flüssigkeit, stechender Geruch
sehr gute Muskelrelaxation, gute hypnotische Wirkung, nur mäßige Analgesie!
neuere Modifikation des Enfluran, stärkere Wirksamkeit
gut steuerbar, rascher Wirkungseintritt, schnelles Abfluten
nur noch 0,2% Verstoffwechslung über die Leber!
Nachteil: der stechende Geruch ist ein Stressfaktor bei der Narkoseeinleitung über die Maske und provoziert zudem eine vermehrte Schleimabsonderung in den Bronchien Deshalb ist z.B. Atropin als vorbeugendes Gegenmittel zu geben, was aber nur gegen die Bronchiosekretion hilft, dem Tier selbst aber die Wahrnehmung des Geruchs in der Einleitungsphase nicht erspart.
(In der Kinderchirurgie findet Isofluran aus diesem Grund kaum noch Anwendung)

Sevofluran/Desfluran – nochmalige Neuentwicklungen dieser Stoffgruppe
noch schnelleres Anfluten/Abfluten
noch geringere Leberverstoffwechslung (<0,2%)

Allgemeine Nachteile und Risiken dieser Inhalationsnarkotika
- Unterschiedlich dämpfende Wirkung auf das Atemzentrum (Atemdepression, Atemstillstand))
- teils starker Blutdruckabfall (Gefahr des Kreislaufkollaps), Auswirkungen auf die Herzaktion
- durch die Muskelrelaxation (Muskeln erzeugen bei Aktivität Wärme) und die Wirkungen auf Herz und Kreislauf besteht speziell bei kleinen Nagern die Gefahr, dass postoperativ der Kreislauf aufgrund der starken Auskühlung (Hypothermie) kollabiert (deshalb dosierte Wärmemaßnahmen nötig)
- um die Gaszufuhr weiter und optimal zu gewährleisten ist für z.B. länger dauernde Eingriffe eine Intubation nötig oder eine entsprechende Maske (sonst sehr kleines Zeitfenster)
- wegen der eher unzureichenden Dämpfung des Schmerzempfindens (Analgesie) ist es ratsam – je nach Art und Dauer des Eingriffs - sich zusätzlicher Schmerzmittel zu bedienen (vor wie nach der Operation)

2.)Injektionsnarkosen
Die Injektion geschieht in der Regel je nach Medikament unter die Haut (subcutan; s.c.) oder in einen Muskel (intramuskulär; i.m.), wobei letzteres bei sehr kleinen Nagern wieder ungünstig ist, da die Minimuskeln zu wenig Masse hergeben.
Eine Injektion in die Vene (intravenös; i.v.) gestaltet sich ebenfalls schwierig, wegen der winzigen Venen, ist aber z.B. beim Chinchilla grundsätzlich möglich.
Der Wirkungseintritt kommt sehr rasch, allgemein gelten Injektionsnarkotika aber als schlechter steuerbar im Vergleich zu Inhalationsnarkotika.
Man unterscheidet zwei Methoden:

a) die herkömmliche Injektionsnarkose ohne medikamentöse Wiederaufhebung (Antagonisierung),
speziell diese gilt als schlecht steuerbar und belastend!


b)die mittlerweile nicht mehr ganz neue Möglichkeit der vollständig antagonisierbaren Anästhesie (VAA),
die auch erfolgreich angewendet wird

Der Vorteil solcher Injektionsnarkosen besteht darin, dass keine aufwendige Apparatur für die Durchführung notwendig ist und die verwendeten Substanzen zudem kostengünstiger sind.
Die Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System sind grundsätzlich ähnlich den Inhalationsnarkosen.
Nachteilig ist bei diesen Narkoseformen, dass die verwendeten Substanzen über die Leber/Niere verstoffwechselt und ausgeschieden werden müssen (was nicht heisst, dass sie deshalb „giftig“ sind).
Daraus ergibt sich – speziell ohne Antagonisierung – oft eine verlängerte Nachschlafphase oder ein vorübergehend reduzierter Allgemeinzustand (Gefahr von Atemstillstand und Auskühlung), wo das Tier warmgehalten werden muss und ausserdem weder Futter noch Flüssigkeit aufnehmen kann (Beanspruchung der Energiereserven, Stoffwechselbelastung).
Wichtig ist bei den Injektionsnarkosen auch, dass sich der behandelnde Tierarzt gut auf die Dosierung versteht!
Aufgrund des hohen Stoffwechselumsatzes dieser Tiere benötigen sie eine verhältnismäßig hohe Dosis der Narkosemittel, damit die gewünschte Wirkung erreicht werden kann (wobei man nicht vergessen darf, dass die Mengen trotzdem sehr winzig bleiben).
Diese Dosierung muss aber trotzdem möglichst exakt im Verhältnis zum Körpergewicht stehen, da andernfalls ein „Schätzfehler“ fatal verlaufen kann (eine gewisse Toleranz besteht allerdings schon, nur sind aufgrund der kleinsten Mengen die Verhältnisse verschoben) ...


Zur herkömmlichen Injektionsnarkose ohne vollständige Antagonisierung:
Hier werden/wurden verschiedene Narkosemittel in sich ergänzender Kombination verwendet, wie z.B. Ketamin und Xylazin .
Auch eine Kombination aus Ketamin und Medetomidin ist möglich.
Hierbei können Xylazin und Medetomidin antagonisiert werden, Ketamin jedoch nicht!

Ketamin – gehört zur Gruppe der Kurzzeitnarkotika (birgt ein paar Besonderheiten)
bewirkt eine starke Dämpfung des Zentralnervensystems (jedoch nur bedingt)
gute hypnotische Wirkung (Bewusstlosigkeit)
starke schmerzdämpfende (analgetische) Wirkung
bewirkt aber keine Muskelerschlaffung, sondern genau das Gegenteil!
wird in der Leber verstoffwechselt und teilweise über die Nieren ausgeschieden
oft sehr unruhige Einschlafphase, beim Menschen wird von Albträumen berichtet
keine Antagonisierung möglich, oft langer Hang-over (in Form von Unruhe, Krampfgefahr)

Xylazin – gehört zur Stoffgruppe der Thiazinamine
bewirkt ebenfalls eine zentrale Dämpfung
gute Sedierung, gute Muskelrelaxation (die dem Ketamin ja fehlt)
gute Analgesie (ähnlich Morphium) beim Kleintier, jedoch von kurzer Dauer
Verstoffwechslung in der Leber, Ausscheidung grösstenteils über die Nieren(70%)

Nachteilig ist an dieser Narkoseform, dass die belastenden Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System verhältnismäßig stark sind. Ferner ergibt sich aus der wegen Ketamin nicht möglichen völligen Antagonisierung eine schlechte Steuerbarkeit und damit eine lange Nachschlafphase (Ketaminüberhang).
Die daraus resultierende längere Nachschlafphase erhöht die Gefahr einer starken Auskühlung (Hypothermie) sowie einer Stoffwechselentgleisung – häufig mit Todesfolge.
Es bleiben also ein paar Wünsche bezüglich der minimierten Nebenwirkungen und der möglichst schonenden Narkoseform (auch bei der Kombination Ketamin+Medetomidin).

Zur vollständig antagonisierbaren Anästhesie (VAA):
Hier bedient man sich nicht nur sich ergänzender Substanzen für die Narkose, es gibt auch für jede dieser Substanzen den passenden Gegenspieler (Antagonisten).
So kann zum Ende eines Eingriffs die Narkose „einfach“ wiederaufgehoben werden, was die Narkoseauswirkungen minimiert.
Damit verbessert sich die Steuerbarkeit dieser Narkoseform beträchtlich und durch die somit geringer ausfallende Nachschlafphase wird die Narkose auch insgesamt schonender.
Allerdings muss man schon mit kleineren Rückschlägen (sog. Rebound-Phänomen) rechnen, weil die Gegenmittel die Narkosemittel zwar von ihrem Wirkort verdrängen, sie aber nicht völlig verschwinden lassen (müssen erst noch verstoffwechselt werden).
Da die Narkosemittel aber meist den „längeren Atem“ haben als die Gegenmittel, kann es innerhalb der ersten 12-24 Stunden zu erneuten Dämmerzuständen kommen, unter anderem weil das Narkosemittel sozusagen eine Ehrenrunde dreht!

Bei der VAA werden die Narkosemittel Midazolam, Medetomidin und Fentanyl (MMF) kombiniert:

Midazolam – gehört zur Gruppe der Benzodiazepine, speziell der kurzwirksamen
wirkt über bestimmte Rezeptoren im Gehirn dämpfend
gute Sedierung, gute Entspannung, wirkt Krämpfen entgegen
keine Schmerzdämpfung
Verstoffwechslung in der Leber, Ausscheidung über die Nieren
Der zugehörige Antagonist ist Flumazenil, hiermit werden sowohl Wirkung als auch Nebenwirkungen des Midazolams innerhalb von Minuten aufgehoben.
Um dem Rebound-Effekt entgegenzuwirken empfiehlt sich eine nochmalige Nachinjektion des Gegenmittels.


Medetomidin – gehört zur Stoffgruppe der Thiazinamine
wirkt sowohl im Gehirn selbst als auch in der Peripherie (Körper)
gute Sedierung, Entspannung und Schmerzdämpfung (wenn auch kurz)
Verstoffwechslung in der Leber, Ausscheidung über die Nieren
Medetomidin alleine kann, falls nötig, auch zur alleinigen Ruhigstellung (Sedierung) für z.B. eine Röntgenaufnahme bei Chinchillas verwendet werden.
Der zugehörige (sogar speziell hierfür entwickelte) Antagonist ist Atipamezol, auch hier geschieht eine zuverlässige Aufhebung narkotisierenden und kreislaufdepressiven Wirkungen des Medetomidins.

Fentanyl – gehört zur Gruppe der synthetischen Opioide, Wirkdauer 30-60 min
für Opioide gibt es spezielle Rezeptoren im Gehirn (so auch bei best. Drogen)
sehr stark analgetisch (125mal stärker als Morphin es wäre!)
allerdings kaum bis gar keine Wirkung auf das Bewusstein!
Verstoffwechslung in der Leber (90%), Ausscheidung über die Nieren
Zugehöriger Antagonist ist hier Naloxon, mit dem man z.B. auch einem Junkie innerhalb von Minuten den Trip beenden kann.
Allerdings ist hier zu beachten, dass es zum bereits erwähnten Rebound-Phänomen kommen kann.


Trotz der recht zuverlässigen Antagonisierung ist nach der Narkose zu beachten, dass das Tier noch einige Zeit (max 24h) unter den Auswirkungen der verschiedenen Substanzen auf das ZNS sowie das Herzkreislaufsystem und den Stoffwechsel leiden kann (wie es auch bei der Narkose mit Ketamin und Xylazin der Fall ist).
Vorteilhaft ist hier jedoch, dass bei der VAA eine bedeutend ruhigere Einschlafphase sowie eine kürzere Aufwachphase zu verbuchen ist, als bei der Narkose mittels Ketamin und Xylazin (oder Medetomidin).
Die kürzere Aufwachphase wirkt so auch der Auskühlung entgegen, weil die Tiere früher wieder aktiv sind (Muskeln produzieren Wärme).
Ausserdem besteht oft schneller die Wiederaufnahme von Futter und Flüssigkeit, was die Energiereserven des Tieres weniger beansprucht als ohnehin nötig.
Bei Versuchen an Ratten wurde die Injektionsnarkose in Form der VAA sogar als „selbst bei Risikopatienten anwendbar“ deklariert.

Abschliessend lässt sich also sagen, dass sowohl die Inhalationsnarkose als auch die Injektionsnarkose (in Form der VAA) gut steuerbare und einsetzbare Methoden zur möglichst schonenden Anästhesie bei kleinen Nagetieren sind.
Das gilt auch speziell im Bezug auf Narkosen bei Chinchillas, selbst eine Trächtigkeit soll durch eine VAA scheinbar nicht beeinflusst werden.

Obwohl die Inhalationsnarkose als grundsätzlich am besten steuerbar gilt, findet auch die VAA erfolgreich Anwendung und kann unter bestimmten Umständen sogar der Inhalationsnarkose vorgezogen werden.


(In der Humanmedizin ist der Standard diese Art der Kombinationsnarkose bei normalen Operationen:
Nach der vorausgegangenen Gabe eines Beruhigungsmittels (Tablette auf Station) erfolgt die Narkoseeinleitung über Injektionsnarkotika.
Im weiteren Verlauf wird die Narkose maßgeblich durch die Gabe eines Inhalationsnarkotikums aufrecht erhalten, je nach Bedarf werden evtl zusätzlich Muskelrelaxantien gegeben.
Am Ende lässt man den Patienten durch Wegnahme des Narkosegases wieder erwachen, eine medikamentöse Wiederaufhebung der Narkose wird hier eher vermieden.
Allerdings sind hier Art und Dauer der Eingriffe sowie der Patient selbst anderer Natur als bei Operationen an kleinen Nagetieren.)


Quellenangaben:
http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=978828445&dok_ var=d1&dok_ext=pdf&filename=978828445.pdf
http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=975433008&dok_ var=d1&dok_ext=pdf&filename=975433008.pdf
http://edoc.ub.uni-muenchen.de/archive/00004110/01/Bothschaf ter_Sandra_Martina.pdf
http://www.mueller-heinsberg.de/html/narkose_nagetiere.HTM
Zur Anästhesie beim Chinchilla (...)und ihrer vollständigen Antagonisierung(...) (Röltgen, Ina; 2002)
http://www.vetpharm.uzh.ch/perldocs/index_i.htm
Leitsymptome bei Meerschweinchen, Chinchilla und Degu (Ewringmann; Glöckner)
Anästhesie/Intensivmedizin/Notfallmedizin/Schmerztherapie (Kretz ; Schäfffer)
Intensivkurs Allgemeine und spezielle Pharmakologie (Burgis)
Pharmakologie und Toxikologie (Lüllmann; Mohr; Wehling)


Anmerkung:
Diese zusamenfassende Gegenüberstellung wurde nach Recherche in entsprechender Literatur sowie nach bestem Wissen und Gewissen verfasst.
Ich hoffe mich auch für Nicht-Fachleute halbwegs verständlich ausgedrückt zu haben und trotzdem einen fachgerechten Überblick zu diesem Thema gegeben zu haben.
Für Nachfragen stehe ich natürlich gerne zur Verfügung!
Hier geht es übrigens zur "Kurzform" und dem Ursprungsthread:
Welche Narkose?!

VLG,
Christine

(edits vom 19.05.07: kleinere Formatierungsänderungen, keine inhaltlichen Änderungen, Verlinkung auf Narkosethread eingefügt)

[Aktualisiert am: Sa, 19 Mai 2007 10:12]


Vorsicht - freilaufende Medizinerin!
Bezüglich Risiken und Nebenwirkungen wenden Sie sich an das Lästerforum Ihres Vertrauens.
Laughing

Chin-WG
Re: Zur Narkose bei Nagetieren/Chinchillas [message #31523 antworten auf 31441 ] So, 20 Mai 2007 16:53 Zum vorherigen Beitrag gehenZum nächsten Beitrag gehen
Oldau-Chinchilla ist gerade offline  Oldau-Chinchilla

Beiträge: 123
Registriert: Juli 2006

Hallo Christine,

ich möchte mal fragen ob ich deinen Beitrag inhaltlich ungekürzt mit Verfasserangabe und Publikationsort auch in einem anderen Forum ( http://www.der-pfoetchenclub.de ) für einen Info-Thread nutzen darf?

Ich denke er wäre für uns als Thema sehr interessant.

LG Martin


Pessimisten sind Optimisten mit Erfahrung...
Re: Zur Narkose bei Nagetieren/Chinchillas [message #31531 antworten auf 31441 ] So, 20 Mai 2007 19:08 Zum vorherigen Beitrag gehenZum nächsten Beitrag gehen
christine ist gerade offline  christine

Beiträge: 648
Registriert: Februar 2006
Ort: Leipzig
Hallo, Martin!

Ja, kannst Du gerne machen, freut mich wenn der Beitrag gefällt.
Von solchen Infos soll ruhig jeder was haben, solange klar ist woher sie kommen und wessen Schweiß dafür geflossen ist Very Happy

VLG,
Christine


Vorsicht - freilaufende Medizinerin!
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Laughing

Chin-WG
Re: Zur Narkose bei Nagetieren/Chinchillas [message #31539 antworten auf 31531 ] So, 20 Mai 2007 20:34 Zum vorherigen Beitrag gehen
Oldau-Chinchilla ist gerade offline  Oldau-Chinchilla

Beiträge: 123
Registriert: Juli 2006

Hi Christine,

Danke dir!

Gruß Martin


Pessimisten sind Optimisten mit Erfahrung...
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